Die Sicherheit des Ungelenken
Text von Tilo Schulz

 

Es fällt schwer, nicht über die Malerei Viola Bittls nachzudenken. Gleichzeitig scheint es unmöglich, die Bilder vor dem inneren Auge zu reproduzieren; zu schnell verflüchtigen sie sich mit der fehlenden Präsenz, zu einfach tritt man in die Falle einer Beschreibung der Form. Doch genau damit beginnt ihre Malerei: mit einer Form. Und diese Form – sei sie rund oder eckig – verhält sich auf dem Bild. Flächen sind zu einem Massiv auf einander gestapelt (oder abgelegt?) Gestauchte, abgeschnittene Ovale stürzen ineinander oder werden zu einer Figur geformt. Viola Bittls Umgang mit Formen ist vielfältig, präzise und überraschend, nie beliebig und keinesfalls auf Spektakel aus. Ihre bildnerischen Setzungen strahlen ein fast beängstigendes Bewusstsein aus, was verhandelt werden soll. Hier ist eine Malerin am Werk, die weiß, was sie tut, dies aber nicht unbedingt zeigen muss.

Es ist diese angenehme Zurückhaltung, die einen zu den Bildern zurückkehren lässt. Kein lautes Geplärre, sondern ein intensives Gespräch, das immer wieder fortgesetzt werden will. Zu jeder Zeit und an jedem Ort. Bittls Bilder sind überzeugt von sich, wissend, stehen außerhalb von kurzzeitigen Trends. Sie äußern sich als gesättigte Malerei mit dem Mut zum Ungelenken. Ränder brechen aus, Flächen scheinen nicht ihre Form zu finden, Pinselstriche führen ein Stück zu weit, tieferliegende Motivkanten brechen durch und stören. Diese Nebenschauplätze des Ungelenken zeugen von einer Haltung in der Malerei, die bei Suzan Frecon, Stanley Whitney oder Gary Stephan zu finden ist. Das Malen am Bild wird lebendig gehalten, sichtbar, nachvollziehbar. Bittls Malerei agiert vor Retusche und cosmetic surgery; sie zeigt die Welt (die Malerei), wie sie wirklich ist mit ihren Narben, den Unebenheiten sowie den Ablagerungen in den verdeckten Schichten. Ihr Blick ist dabei immer leicht verschoben mit einer Vorliebe für das Abseitige.

[Text aus dem Katalog „Jetzt! Junge Malerei in Deutschland“, Hirmer Verlag, 2019
anlässlich der Ausstellung im Kunstmuseum Bonn, Museum Wiesbaden, Kunstsammlungen Chemnitz - Museum Gunzenhauser, Deichtorhallen Hamburg]