Eine ernsthafte Malerin
Text von Liliana Rodrigues

 

Sehr wenig ist auf jedem der Bilder zu sehen. Für Viola Bittls Arbeiten ist eine Sparsamkeit der Mittel bezeichnend. Mit ihrem einfachen Formenvokabular, mit Linien, Ovalen oder Flächen spielen ihre grafischen Spuren so ineinander, dass die Bilder ein Höchstmaß an Fläche und Präsenz erreichen.

Die einfachen Figuren und ihre Varianten kontrastieren mit einem nahezu monochromen Hintergrund, die Bilder aber als simpel einzuschätzen wäre ein Irrtum. Professor Ammann beobachtet, dass sie „die Qualifikation aller Schichten und Eingriffe [sind].“¹ Alle Malerei ist in gewissem Sinne undurchsichtig – wir können nicht sehen, was unter den Bildern verborgen liegt, und dennoch spüren wir die Einfühlsamkeit ihres Aufbaus. Wenn der Grund fertig aufgetragen ist, beginnt im Bild die Ergründung von Gedanken über Transparenz und Opazität, über Tonalität und Einfarbigkeit, Dichte und Leere und Vieles mehr.

Die Verwendung einer eingeschränkten Anzahl von Elementen – was weder gleichbedeutend ist mit Banalität noch mit Wiederholung – drückt Viola Bittls Wunsch aus, das Malen auf das hin zu untersuchen, was es ist: eine zweidimensionale Fläche, auf der etwas passiert.

Die Flächigkeit ihrer figurenbasierten Kompositionen zeigt sich auch in den Pastellfarbtönen, die sie überwiegend verwendet, in der Abwesenheit von Lichtquellen und damit Schatten, sowie in der Verschmelzung von Figur und Grund. Zusammengenommen bezeugen diese Strategien das Desinteresse der Malerin an der Auseinandersetzung mit dem dreidimensionalen Raum. Viola Bittl interessiert sich weder für die lineare Perspektive der Renaissance noch für andere Strategien, mit denen sich dreidimensionale Räumlichkeit suggerieren lässt, etwa dem grellen Kontrast zwischen Farbebenen oder starken Konturen. Tatsächlich scheint Viola Bittl die Darstellung von Räumlichkeit in der Malerei ganz außen vor gelassen.

Sie beschäftigt sich stattdessen stärker mit der Beziehung zwischen Figur und Grund. Seit der Renaissance gilt für die Beziehung zwischen dem, was in der zentralen Szene dargestellt wird und dem begleitenden Hintergrund eine hierarchische Ordnung, wobei der Hintergrund in der Regel Hintergrund bleibt. Anders bei Viola Bittl. In ihren Bildern sind Figur und Hintergrund gleich wichtig; gleich stark ringen sie um unsere Aufmerksamkeit, die traditionelle Unterscheidung gilt nicht mehr.

Viola Bittls Arbeiten zeichnen sich durch die Verwendung von Farbflächen aus, durch eine begrenzte Anzahl an Figuren und eine Vorliebe für „ruhige“ Farben, im Gegensatz zu Neonfarben. In diesem Zusammenhang merkte Professor Ammann einmal an, wie diskret die Bilder seien und wie leicht man sie übersehen könne. ²

Weiter wurde darauf hingewiesen, dass Viola Bittl keine Serien schafft. Jedes Bild ist einzigartig, ist sicherlich Teil einer weiter gefassten Recherche, aber doch vollständig unabhängig von den vorangegangenen wie auch den nachfolgenden Bildern. Die Malerin leitet ihre Werke von nichts ab, sie zeigt dem Betrachter abstrakte Landschaften oder einfache Figuren, die weder von Gewalt noch von Brutalität zeugen. Es sind Orte oder Flächen für das Experiment mit Konzepten wie „Gewicht“, „Balance“, „Kontrast“, „Harmonie“ und anderem.

In der Geschichte der Malerei, besonders in der amerikanischen Tradition des Mediums, findet man für diese Konzentration auf das Wesen der Malerei natürlich Anknüpfungspunkte. Viola Bittl ist aber an der Emotionalität, die mit dem expressionistischen Gestus verbunden wird nicht interessiert und auch nicht an Materialität per se. Ihre Bilder stehen schon eher in einem Bezug zur Tradition der Moderne. Sie bauen auf visuelle Qualitäten als einem selbstständigen Bereich der ästhetischen Erfahrung, sowie auf formale Selbstreflexion. In ihnen erforscht die Künstlerin Fragestellungen zum Spezifischen der Malerei. Wenn man diesen Fokus auf formale Qualitäten bedenkt, scheint es fast so, als wolle Viola Bittl durch ihre künstlerische Praxis die Malerei in ihrer Autonomie stärken, sie in ein goldenes Zeitalter zurückführen.

Einen Eindruck von Disziplin und auch eine gewisse melancholische Stimmung verströmend, sind die Bilder von Viola Bittl durchdrungen von einem Sinn für Genügsamkeit, von Konzentration und Bewusstsein von innerem Auftrag. Im Ganzen bekommt man ein Gespür dafür, wie ernsthaft sie die Malerei betreibt. Ihre Bilder wirken, als wären sie schon im Moment ihrer Entstehung Teil einer Tradition geworden und, für sich genommen, unvergessliche Klassiker.

¹ - Jean-Christophe Ammann, Viola Bittl, Hundert Prozent, 1822-Forum der Frankfurter Sparkasse, Frankfurt am Main, 2012.
² - Idem, Ibidem.

Übersetzung: Kennedy-Unglaub Translations

[Text aus dem Katalog „eine/r aus siebzehn“ von 2012, anlässlich der Ausstellung im Museum Wiesbaden]